venosta hat geschrieben:
Hast Du hier schon Erfahrungen gesammelt? Welches sind Regeln, die man vereinbaren kann / sollte?
Ja - ich habe hier Erfahrungen gesammelt. Man kann um so etwas zu üben erst mal die Regeln aus dem normalen Schauspielunterricht nehmen, wenn man in einem geschützten Raum arbeitet, wie in der eigenen Wohnung. (Speziell die Regeln der sogenannten "Improvisationsübungen nach Stanislawski".)
Bei Anfängern werden normalerweise am besten zuerst etwa 30 Minuten die Grundlagen erklärt. Hier eine Kurzform:
Zuerst müssen die Grundregeln klar sein: Die Abmachung dass jeder dafür verantwortlich ist, das beim Spiel niemanden real etwas böses körperlich passiert und dass das Wort "Stop" sofort zum Abbruch bzw. "Standbild" der gespielten Szene führt.
Hier ein spielbarer Vorschlag:
Dann zuerst die Bühne benennen, das ist eine gemeinsame Abmachung. Ihr könnt dazu einfach ein freies Stück vom üblichen Wohnzimmer verwenden. Man könnte jetzt dort 4 Stühle aufstellen, um damit z. B. ein Stück eines U-Bahnabteils zu simulieren. Wir kennen so etwas ja schon aus der Kindheit...
Dann die Ausgangssituation der Szene verabreden (die W-Fragen)
Wo - spielt die Szene - der genaue Ort (sagen wir mal das ist jetzt eine U-Bahn, in ...Stadt).
Wann spielt die Szene -(z. B. Nachts um 11, Freitag)
Wer spielt die Szene (z. B. 2 Personen: ein Fahrgast und ein Fahrkartenkontrolleur/in)
Mit Was, Wie, Warum... geht’s weiter:
Die Vorgeschichte geht z.B. so: Spieler Nr1 kam gerade aus einer Kneipe, hatte dort vielleicht gerade Stress mit Freundin/Freund und ist außerdem vom Wein angedudelt (dies nur spielen und nicht wirklich in der Szene Wein trinken, Schauspiel wird normalerweise nüchtern gespielt, wegen der Klarheit der Sinne
Der Kontrolleur/in hat die letzte Kontrollfahrt vor Feierabend ...
Der Fahrgast hat keinen Fahrschein (wir brauchen meist einen Konflikt, damit es Spaß macht, für die Action)
Wenn diese Ausgangssituation soweit klar ist, begebt ihr euch an euren Spiel-Platz. Jeder weiß nun wer er ist und was er macht und wo er hin will und jeder stimmt sich 2 Minuten für sich auf die Szene mit seiner Imagination ein. Der Schwarzfahrer sitzt und der Kontrolleur steht und wartet bis die U-Bahn anfährt. Du siehst dann also in deiner Imagination die U-Bahn Fenster usw., hörst die üblichen Geräusche in der U-Bahn, spürst das anfahren (versuch es dir so gut es geht vorzustellen, wenn’s nicht gleich klappt, auch egal),
Dann geht die Szene los mit dem Satz "Die Fahrscheine bitte" ...
Alles weitere ist eurer Phantasie überlassen. Es gibt 1000 Möglichkeiten diese Szene zu dann frei weiter zu spielen. Nehmt das Spiel ernst! Spielt so, wie wenn euch das im ganz normalen Leben passieren würdet. Spielt die Szene so wie ihr wirklich reagieren würdet (was wäre wenn). Aber! ihr habt dazu zusätzlich jetzt hier die Freiheit das zu tun, was ihr euch in der realen Welt nicht trauen würdet, nutzt diese Freiheit der tausend Möglichkeiten! (Nur beide müssen sich streng an die obigen Grundregeln halten) Versucht erst danach zu lachen (Anfänger lachen oft beim ersten mal, macht nichts, versucht ein eventuelles Lachen möglichst in die Szene zu integrieren).
Falls etwas schief läuft, dann sagt "Stop", besprecht es und wiederholt es auf andere Art, verbessert Fehler... (es soll aber nicht zu oft unterbrochen werden)
Die Szene dauert z.B. 10 Minuten. Nehmt es am besten mit Videokamera auf. oder spielt vor Freunden.
Danach gibt es eine Nachbesprechung, wo jeder seine subjektiven Eindrücke schildert
Während ihr spielt oder ihr im "Stop Modus" an der Szene arbeitet, versteht ihr vielleicht jetzt schon, was mit Regieinstanz bzw. kollektiver Regie gemeint ist? Was ist hier der wesentliche Unterschied zur Realität? Wenn gut gespielt wird ist das nicht viel. (Der Raum natürlich, man könnte aber auch in der U-Bahn spielen, dann würde es aber gefährlich, wenn einer sich als Kontrolleur ausgibt, wäre aber möglich und das wäre dann „Unsichtbares Theater“)
Der wichtigste Unterschied zur Realität ist 1. das kollektive Wissen, das dies Spiel und nicht Ernst ist (das Spiel jedoch ernsthaft gespielt wird), also diese Abmachung und es ist 2. die Stop Regel und die Eingriffsmöglichkeit/Veränderbarkeit der Szene. Es gibt jetzt sozusagen einen Geist/Spirit/Wissen in euch, das die Realität die ihr gerade erschafft verändern kann, und diese (Spiel-)Realität konstruieren kann. Dieser Spirit wird von euch beiden und allen Leuten im Raum getragen, die ums Spiel wissen. (vergleichbar einem „Klartraum“) Die normale Realität hat keinen Rahmen, durch den man eingreifen kann, die Spielrealität schon. Das ist ja gerade der Reiz, den so eine Theaterarbeit auf jeden der einem Schauspielworkshop macht ausübt, der das seit der Kindheit wieder zum ersten mal macht.
Jeder muss lachen.
Ich weiß jetzt nicht ob das nur auf eine schriftliche Anleitung richtig gut klappt, wäre aber neugierig darauf. Falls es klappt bzw. Resonanz kommt, stell ich das Beispiel vielleicht per Link auf die Realtheater Homepage. Deshalb hab ich es relativ ausführlich geschrieben.
Im richtigen Schauspielunterricht wird alles was hier nötig ist natürlich eingeübt und trainiert, z. B. die Imaginationsfähigkeit, die wir auch besonders von der Kindheit her noch gut kennen
Das ist aber noch kein Realtheater! das ist Schauspiel. Realtheater ist es erst dann, wenn das Spiel zur Realität wird, sozusagen zum Feuer und nicht zum Flämmchen und wenn man also nicht ständig wieder in die eindimensionale Kausalität/Realität zurückfällt, sondern das Bühnenbewusstsein beibehält. Wenn man stets „möglichkeitsbewusst aktiv konstruiert und auswählt“ (in einer Übereinkunft, die diese Wahl ermöglicht) und nicht nur passiv in der „Kausalrinne des Lebens“ rutscht. Es geht also darum über seinen Schatten zu springen und jemand anderes zu sein, dies kann sogar normales Schauspiel z.B. während einer Improvisation schon bieten. Wer z.B. den U-Bahn Kontrolleur gut spielt, der hat ein echtes Erlebnis gemacht wie sich so ein Beruf anfühlt.
Wer will kann gleich im U-Bahn Szenario weiterspielen: Z. B. eine Szene mit jemanden, der sich in der U-Bahn eine Zigarette anzündet... oder dieselbe Szene nochmal mit vertauschten Rollen, oder die Szene nochmal mit einem Handycap z.B. ein lispeln...
Ich bin der Meinung dass der echte Realtheater Zustand vorerst nur in einem von der Außenwelt abgeschottetem Gelände/Raum erreichbar ist. Denn die Regeln des Realtheaters und die Regeln der normalen Außenwelt sind nicht kompatibel, sondern widersprechen sich.
Näheres zum Thema Schauspiel, Grundregeln etc. steht hier:
http://www.radikaler-konstruktivismus.de/radikalerkonstruktivismus2.html.